Decision-OS Insights · Rollen & Verantwortung

Verantwortungsdiffusion: Wenn im Team niemand den Hut aufhat

„Wir kümmern uns darum“ klingt nach Teamgeist – ist aber oft der gefährlichste Satz in jedem Meeting. Dieser Artikel zeigt, warum Verantwortung nicht teilbar ist und wie das DRI-Konzept von Apple Ihr Team wieder handlungsfähig macht.

Lesezeit: ca. 6 Minuten Für: Führungskräfte & Projektleiter Thema: Ownership, DRI & Exekution

Teil der Reihe „Decision-OS Insights“ – wie klare Rollen, DRI und DoA-Matrix aus guten Vorsätzen konkrete Verantwortung machen.

Die „Wir“-Falle

Es ist das Ende eines langen Meetings. Ein wichtiges, aber unangenehmes Thema liegt auf dem Tisch – zum Beispiel die Überarbeitung der Preisliste.

Der Chef fragt in die Runde: „Wer nimmt sich dem an?“ Betretenes Schweigen. Dann sagt der Marketingleiter: „Wir kümmern uns darum. Marketing und Sales machen das zusammen.“

Alle nicken erleichtert. Das Thema ist vom Tisch.

Zwei Wochen später, gleiches Meeting:

Chef: „Wie sieht’s aus mit der Preisliste?“
Marketing: „Ich dachte, Sales macht den Aufschlag.“
Sales: „Ich dachte, Marketing liefert erst die Daten.“

Nichts ist passiert.

Wir nennen das Verantwortungsdiffusion (Responsibility Diffusion). Es ist kein Zeichen von Faulheit, sondern ein gut erforschtes sozialpsychologisches Phänomen: der Bystander-Effekt. Je mehr Menschen anwesend sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Einzelne handelt. Jeder denkt: „Jemand anderes wird es schon tun.“

Das Gesetz der Singularität

Wenn Sie in Ihrem Unternehmen zulassen, dass Aufgaben an „Teams“ oder „Abteilungen“ vergeben werden, institutionalisieren Sie den Stillstand.

„Wir machen das“ heißt übersetzt: „Niemand macht das.“

Im Decision-OS Framework gilt deshalb ein eisernes, fast mathematisches Gesetz:

Verantwortung ist nicht teilbar.

Wenn zwei Leute zu 50 % verantwortlich sind, ist das Ergebnis nicht 100 % Verantwortung. Es ist 0 % Rechenschaftspflicht. Denn im Moment des Scheiterns hat jeder eine perfekte Ausrede: „Ich dachte, der oder die andere hat den Lead.“

In vielen Projektlisten spiegelt sich das genau so wider: In der Spalte „Owner“ stehen Einträge wie „Marketing & Sales“ oder „Product / Tech“. Das fühlt sich ausgleichend an – und ist in der Praxis ein struktureller Freifahrtschein für das Nichtstun.

Die Lösung: Der DRI (Directly Responsible Individual)

Um die Diffusion zu stoppen, nutzen wir ein Konzept, das Steve Jobs bei Apple etabliert hat und das heute Standard in High-Performance-Organisationen wie GitLab ist: den DRI (Directly Responsible Individual).

Das Prinzip ist simpel, aber radikal:

  • Für jede Entscheidung, jedes Projekt und jeden Agendapunkt gibt es genau eine natürliche Person, die den Hut aufhat.
  • In der Spalte „Owner“ steht ein Name (zum Beispiel „Sarah“), keine Abteilung („Marketing“).
  • Es stehen dort niemals zwei Namen („Sarah & Tom“).

Sobald zwei Namen in der Spalte stehen, ist der Eintrag im Decision-Log aus Decision-OS-Sicht ungültig. Er verletzt das Gesetz der Singularität.

Der DRI ist damit nicht der oder die allein Handelnde – aber die Person, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Er oder sie trägt die Verantwortung, dass etwas passiert, auch wenn viele andere mitarbeiten.

Demokratie vs. Monarchie

Viele Führungskräfte scheuen davor zurück, einen einzelnen Verantwortlichen zu benennen, weil sie das „undemokratisch“ finden. „Wir sind doch ein Team!“

Das ist ein Missverständnis. Wir müssen zwischen Beratung und Entscheidung unterscheiden.

  • Der Prozess ist demokratisch: Der DRI muss die relevanten Stakeholder (Consulted) hören. Er darf nicht im Elfenbeinturm entscheiden.
  • Die Entscheidung ist monarchisch: Am Ende drückt einer den Knopf. Und diese eine Person muss auch den Kopf hinhalten, wenn es schiefgeht.

Der Leitsatz im Decision-OS lautet:

„Demokratie ist ein gutes Prinzip für die Politik, aber ein schlechtes Prinzip für die Exekution.“

In der Praxis bedeutet das: Wir diskutieren breit, aber wir entscheiden schmal. Nicht fünf Leute „irgendwie gemeinsam“, sondern eine Person mit einem klaren Mandat.

Fazit: Löschen Sie das „&“

Wenn Sie Verantwortungsdiffusion in Ihrem Unternehmen bekämpfen wollen, brauchen Sie kein weiteres Motivationstraining. Sie brauchen eine neue Schreibweise in Ihren Listen.

Gehen Sie durch Ihre Projekt-Boards, Backlogs und Excel-Tabellen. Überall dort, wo in der Spalte „Owner“ zwei Namen stehen (verbunden mit einem „&“ oder „/“), haben Sie ein potenzielles Problem.

Zwingen Sie das Team zur Klärung:

  • „Wer von euch beiden schläft schlecht, wenn das Projekt scheitert?“
  • „Wer hat im Zweifel das letzte Wort?“

Das fühlt sich im ersten Moment unkomfortabel an. Aber es befreit. Sarah weiß jetzt: „Es liegt an mir.“ Und Tom weiß: „Ich unterstütze, aber ich muss nicht führen.“

Klarheit schafft Geschwindigkeit. Und Geschwindigkeit entsteht dort, wo eine Person Ownership übernimmt – sichtbar, nachvollziehbar und eingebettet in eine Governance, die Beratung erlaubt, aber nicht verwässert.

Sie wollen wissen, wie man den richtigen DRI auswählt, ohne Hierarchiekämpfe auszulösen?
Im Decision-OS definieren wir dafür einen Auswahl-Algorithmus, der nicht nach Titel („Wer ist der Chef?“), sondern nach Kontext („Wer weiß am meisten?“), Einfluss und Kapazität entscheidet – und diese Wahl transparent im Decision-Log dokumentiert.

Laden Sie sich das Handbuch Decision-OS herunter. In Kapitel 9 finden Sie die Regeln für echte Ownership und die praktische Anleitung, wie Sie den DRI in Ihren Alltag integrieren.

Ownership schärfen – statt immer neue „Verantwortungskultur“ zu predigen

Viele Unternehmen versuchen, Verantwortungsdiffusion mit Appellen zu lösen: „Wir brauchen mehr Ownership“, „Ihr müsst euch zuständig fühlen“, „Wir sind alle gemeinsam verantwortlich“. In der Praxis verstärkt das oft genau das Problem, das es lösen soll.

Solange in Protokollen und Backlogs „Marketing & Sales“, „Product / Tech“ oder „Team XY“ als Owner stehen, ist es psychologisch logisch, dass niemand wirklich den Hut aufsetzt. Der Bystander-Effekt ist kein Charakterfehler, sondern eine erwartbare Reaktion auf unklare Zuweisung.

Decision-OS setzt deshalb nicht bei der Moral an, sondern bei der Struktur: ein klar definiertes DRI-Konzept, eingebettet in eine DoA-Matrix und ein Decision-Log, in dem jede Initiative genau eine Person als Owner trägt – inklusive transparenter Consulted-Liste und klarer Entscheidungsrechte.

Wenn Sie merken, dass Themen immer wieder auf der Agenda landen, ohne dass etwas passiert, ist das kein „Disziplinproblem“. Es ist ein Signal, dass Ihre Rollen-Architektur zu viel „Wir“ und zu wenig „Ich bin dran“ enthält.

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