Die Decision Hygiene Scorecard: Eine Vorlage für gesunde Governance
Subline: Warum Ihr Führungssystem einen monatlichen Gesundheits-Check braucht – und welche 5 KPIs Sie messen müssen.
In vielen Unternehmen sind Finanz- und Performance-Kennzahlen bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma bekannt – aber niemand kann sagen, wie gesund das eigene Entscheidungssystem wirklich ist. Dieser Artikel zeigt, wie Sie mit einer einfachen Scorecard monatlich prüfen, ob Ihr Governance-Prozess noch trägt oder bereits in die Entropie kippt.
Der blinde Fleck im Management
In den meisten Unternehmen messen wir alles: Conversion Rates, Churn, Burn-Rate, Employee Net Promoter Score. Wir sind besessen von Daten. Doch wenn es um das Betriebssystem unserer Führung geht – also darum, wie wir entscheiden –, verlassen wir uns erstaunlich oft auf Bauchgefühl.
„Es läuft gerade etwas zäh.“ Oder: „Die Stimmung ist schlecht.“ Das ist keine Diagnose. Das ist Raten.
Ein System, das man nicht misst, kann man nicht managen. Wenn Ihr Decision-Log (Ihr zentrales Entscheidungsprotokoll) verwahrlost, wird Ihre Organisation langsam und dumm. Entscheidungen verschwinden im Flurfunk, Deadlines werden weich, Verantwortungen verlaufen im Nebel. Ich nenne das organisatorische Entropie.
Um genau das zu verhindern, nutzen wir im Decision-OS Framework die Decision Hygiene Scorecard. Sie ist der monatliche TÜV für Ihre Entscheidungsarchitektur – ein schlankes Governance Audit, das fünf harte KPIs abfragt.
Was ist Decision Hygiene?
Decision Hygiene beschreibt die Disziplin, mit der eine Organisation ihre eigenen Regeln befolgt. Es geht nicht darum, was Sie entscheiden (Inhalt), sondern wie sauber Sie entscheiden (Prozess).
Die Logik ist simpel: Garbage in, garbage out. Wenn Ihr Log voll ist mit unvollständigen Einträgen, wenn Entscheidungen nicht sauber dokumentiert sind oder dauernd im Nachgang „korrigiert“ werden, sinkt das Vertrauen in das System. Teams orientieren sich dann wieder an Informalität und Macht, statt an Prozess und Klarheit.
Gute Decision Hygiene sorgt dafür, dass Ihr Decision-Log wie eine verlässliche Datenbank funktioniert – nicht wie ein Poesie-Album. Und genau das macht Governance mess- und steuerbar.
Die 5 Dimensionen der Decision Hygiene Scorecard
Ein gesunder Governance-Prozess lässt sich an fünf Metriken ablesen. Die folgenden Fragen bilden die Grundlage für Ihren monatlichen Health-Check.
1. Datenintegrität – wie vollständig sind Ihre Entscheidungen?
Ein Decision-Log ist kein Sammelsurium von Stichpunkten, sondern ein strukturierter Datensatz. Jede Entscheidung im Status Decided braucht definierte Pflichtfelder – zum Beispiel DRI (Directly Responsible Individual), Review-Datum und eine klare Formulierung der Entscheidung.
- Leitfrage: Wie viele Entscheidungen im Status „Decided“ haben alle Pflichtfelder vollständig ausgefüllt?
- Benchmark: > 98 Prozent vollständige Einträge.
- Risiko bei schlechter Hygiene: Fehlen Pflichtfelder, ist die Entscheidung nicht exekutierbar. Es entstehen Interpretationsspielräume, Verantwortungen verschwimmen und die Organisation fällt zurück in Nachfragen und Abstimmungsrunden.
2. Prozess-Compliance – halten Ihre Entscheidungen?
Entscheidungen müssen halten. Nichts ist teurer als ein Team, das ständig zurückrudert, weil scheinbar „doch noch etwas offen“ ist.
- KPI: Re-Open-Rate (RoR) – wie viel Prozent der getroffenen Entscheidungen wurden in den letzten 30 Tagen wieder geöffnet?
- Benchmark: < 5 Prozent Re-Open-Rate.
- Typische Ursachen bei hohen Werten: mangelndes Commitment, unklare Kriterien, fehlende Consulted-Rollen oder eine Kultur, in der Entscheidungen jederzeit politisch zurückgedreht werden können.
In allen Fällen ist Ihr System nicht stabil. Die Organisation lernt: „Nichts ist endgültig.“ Genau das erzeugt Decision Debt – schleichende Verlangsamung und Zynismus.
3. Zeitliche Latenz – wo verstopft Ihr System?
Entscheidungen haben ein Verfallsdatum. Ein Item im Status Draft, das seit Wochen unangetastet ist, ist kein Arbeitsstand, sondern Altlast.
- KPI: Stuck in Draft – der Anteil der Items, die länger als 14 Tage im Entwurfs- oder Review-Status hängen.
- Benchmark: < 10 Prozent Stuck in Draft.
- Maßnahme: Alles, was Ihre definierte Timebox überschreitet, wird konsequent bereinigt: entweder bewusst Killed oder sofort entschieden. Ein überfülltes Backlog ist kein Zeichen von Wichtigkeit, sondern von Überforderung des Systems.
4. Strategisches Alignment – wofür nutzen Sie Ihre Entscheidungszeit?
Verbringen Sie Ihre Zeit mit „Fahrradständern“ (trivialen Detailfragen) oder mit echten Weichenstellungen? Decision Hygiene heißt auch: Aufmerksamkeit fokussieren.
- Leitfrage: Wie hoch ist der Anteil der Entscheidungen, die direkt auf ein OKR oder strategisches Ziel einzahlen?
- Benchmark: > 60 Prozent strategischer Impact.
- Gefahr bei niedrigen Werten: Wenn Sie überwiegend operative Brände löschen, aber kaum strategische Entscheidungen treffen, steckt Ihre Organisation im Hamsterrad: viel Bewegung, wenig Fortschritt.
5. System-Integrität – hält sich die Macht an die Regeln?
Das ist der Ehrlichkeitstest Ihrer Governance. Ein System ist nur so stark wie sein Umgang mit Macht.
- Leitfrage: Gab es manuelle Status-Änderungen auf „Decided“, ohne den formalen Prozess einzuhalten? Hat zum Beispiel der CEO „per Admin-Recht“ Entscheidungen angepasst, ohne Logik und Dokumentation?
- Benchmark: Null Fälle.
- Konsequenz: Ein einziger sichtbarer „Cheat“ reicht, um das Vertrauen in das System zu zerstören. Wenn Governance nur gilt, solange sie der formellen Macht nicht im Weg steht, ist sie Dekoration.
Was tun, wenn die Ampel auf Rot steht?
Wenn Ihre Scores in den Kategorien Datenintegrität oder Prozess-Compliance unter 90 Prozent fallen, haben Sie einen Systembruch. Das ist kein Schönheitsfehler, sondern ein Warnsignal.
Ihre Priorität im nächsten Zyklus sollte dann nicht bei neuen Projekten liegen, sondern bei der Wiederherstellung der Disziplin. Konkret kann das heißen:
- ein klarer Hygiene-Monat mit Fokus auf Aufräumen statt Launches,
- Trainings für DRIs und Moderatoren, wie sie das Decision-Log sauber pflegen,
- eine transparente Kommunikation der Governance-KPIs im Leadership-Team,
- und ein explizites Committment der formellen Macht, das System nicht zu umgehen.
Ein schnelles Auto mit plattem Reifen fährt keine Bestzeiten. Pumpen Sie erst die Reifen auf (Hygiene), bevor Sie auf die Autobahn gehen. Wenn die Basics stimmen, kann Decision-OS seine volle Wirkung entfalten – und Governance wird vom Bremser zum Beschleuniger.
Von der Scorecard zum Governance Audit
Die Decision Hygiene Scorecard ist mehr als eine nette Übersicht. Richtig eingesetzt, wird sie zu einem kompakten Governance Audit, das Management-Teams monatlich zeigt, wie gesund ihr Entscheidungssystem wirklich ist. Statt auf diffuse Stimmungsbilder zu hören, sehen Sie konkrete KPIs zu Datenintegrität, Prozess-Compliance, Latenz, strategischem Fokus und Machtkontrolle.
Besonders für CFOs, COOs und Transformations-Leader entsteht dadurch ein klarer Vorteil: Die Qualität von Entscheidungen wird genauso messbar wie Umsatz, Kosten oder NPS. In Kombination mit dem Decision-OS können Sie Ihre Governance nicht nur beschreiben, sondern steuern – mit eindeutig definierten Schwellenwerten und Interventionen.
Wenn Sie bereits mit OKRs, agilen Frameworks oder klassischen Management-Systemen arbeiten, lässt sich die Decision Hygiene Scorecard unkompliziert integrieren. Sie ergänzt bestehende Steuerungslogiken um eine fehlende Dimension: Wie sauber laufen Entscheidungen wirklich durch das System? In Verbindung mit Tools wie dem Decision-OS-Handbuch , dem Mitarbeiter-Vollkostenrechner oder dem ROI-Rechner entsteht Schritt für Schritt ein konsistentes Steuerungs-Setup.
Wenn Sie prüfen möchten, wie Ihr Unternehmen heute aufgestellt ist, können wir die Decision Hygiene Scorecard als Bestandteil eines kompakten Decision-OS Readiness Checks einsetzen – inklusive Auswertung, Priorisierung der Hebel und konkretem Fahrplan für die nächsten 90 Tage.
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